Nachtgesang. Heidrun Sandbichler

28.06.2023 – 01.10.2023

Ein beschädigtes Plastikschiff mit flüssiger Tinte gefüllt schwimmt in einem Wasserbecken. Die „Arche Noah“ kann jederzeit kentern und ihr Inhalt ausschütten. Es ist nur eine Frage der Zeit bis sich das Wasser beginnt zu färben. Heidrun Sandbichler erinnert damit ebenso an die Fragilität des Daseins wie an die Vergeblichkeit gemeinschaftlicher Übereinkünfte: Ein ramponiertes Zeichen der Hoffnung, das kaum eine Chance hat, heil am anderen Ufer anzukommen.
Das angesteuerte Ziel der prekären „Patera“ könnte ein weiteres Werk Sandbichlers sein: „The New Colossus“ ist eine monumentale Textarbeit mit dem Sonnet von Emma Lazarus, dessen Verse Geflüchtete in Amerika willkommen heißen – im Sockel der Freiheitsstatue angebracht dient es wörtlich und im übertragenen Sinn als Fundament einer Nation von Immigrant*innen. Dort trifft die von Fluchterfahrungen geprägte Geschichte Europas auf die Gegenwart einer Politik, die Menschenrechte offen verletzt.

Heidrun Sandbichler hat in den letzten Jahrzehnten ein konzentriertes Oeuvre geschaffen, das poetisch und berührend zugleich die Verletzungen des Einzelnen ebenso wie die kollektiven Wunden der Gesellschaft zum Ausdruck bringt. Und doch ist ihre politisch engagierte Arbeit stets leise. Sie deutet an, schreit nicht, und entspringt einer ästhetischen Haltung, die jenseits von plakativen Aussagen steht.
Die Arbeiten von Heidrun Sandbichler sind formal auf ein Minimum reduziert, ein wesentliches Ausdruckmittel ist ihr Material. So verwendet sie zum Beispiel oft eine spezielle Tinte, die dickflüssig und dunkel ein Moment des Innehaltens in sich trägt. Das Schweigen, den Schmerz und die Aufmerksamkeit, die die Erschließung dieser Arbeiten erfordert, sind dort gleichermaßen vertreten. Die Tinte verweist auch auf die Schrift und somit auf das Gedächtnis, ein Wissensspeicher, das nicht direkt zugänglich ist, und sich als Ahnung oder Schatten manifestiert.
Quellen und Verweise auf Geschichtliches sprudeln aus manchen Werken Sandbichlers und leiten Transformationsprozesse ein, die radikal in die Gegenwart führen. Die Beschäftigung mit der Villa Stuck als Gesamtkunstwerk hat sie zu einer neuen Arbeit inspiriert, die Athanasius Kirchers „Mundus Subterraneus“ (Amsterdam 1665) mit seinen vulkanischen Strömen im Erdinneren nachempfunden ist. Maßstabsgetreu steht im Raum das Netz von Seen und Strömen, die mit flüssiger Tinte befüllt sind, als Pendant zum Himmelsgewölbe des Musiksalons. Und wenn Maulwurfhügel aus Bronze den harmonisch antikisierend angelegten Künstlergarten Franz von Stucks zieren, können wir nun unterirdische Gänge vermuten, die die Villa zu einem kafkaesken „Bau“ erklären.
Die österreichische Künstlerin (*1970) lebt und arbeitet in Rom. Ihre Werke hat sie unter anderen im Centro Luigi Pecci in Prato, im Ex Carcere Minorile im Complesso Monumentale a Ripa Grande in Rom, in der Galleria il museo del Louvre in Rom, im Schloß Ambras und im Ferdinandeum in Innsbruck ausgestellt. Sandbichler erhielt 2016 den Innsbruck International Special Recognition Award und war mit mehreren zentralen Arbeiten bei der dortigen International Biennial of the Arts vertreten. 2020 erhielt sie den Preis für Zeitgenössische Kunst des Landes Tirol 2020. Das Museum VILLA STUCK zeigt 2023 ihre erste Einzelausstellung in Deutschland.
Kuratiert von Dr. Helena Pereña

Heidrun Sandbichler
ohne Titel, 2013
Foto: Claudio Abate

Museum Villa Stuck

Prinzregentenstr. 60
81675 München

Tel +49 (0) 89 45 55 510

villastuck.de

Öffnungszeiten

Di – So 11.00 – 18.00 Uhr
Erster Freitag im Monat bis 22.00 Uhr

barrierefrei