Greater than the Sum

25.10.2019 – 14.12.2019

Baaderstr. 56 C

Kerstin Brätsch
Michaela Eichwald
Helen Marten
Sarah Ortmeyer
Laure Prouvost

Jede der in der Gruppenausstellung gezeigten künstlerischen Positionen erscheint einzigartig, originär und komplex. In der Kombination verdichten sich die präsentierten Werke zu einer neuen Formation, die dazu einlädt, den Blick auf das Gesamte zu re-fokussieren. Angelehnt an Aristoteles Ausspruch „Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile“, lässt Greater than the Sum neue Synergien sichtbar werden.

So wie die Ausstellung verschiedene Querverbindungen herstellt, geht Kerstin Brätsch (geb. 1979 in Hamburg, lebt und arbeitet in New York) regelmäßig Kooperationen ein und wirft damit unter anderem Fragen nach dem Künstlersubjekt auf. Für das aus der Serie der „Unstable Renderings“ gezeigte Werk von 2016 hat die Künstlerin, der 2017 eine große Einzelausstellung im Museum Brandhorst gewidmet wurde, mit der jahrhundertealten Technik der Marmorierung experimentiert. In Kooperation mit Dirk Lange, einem Spezialisten auf diesem Gebiet, ohne den sie den anspruchsvollen Produktionsvorgang vor allem bei einem derart großen Format nicht hätte durchführen können, ist – hier in Referenz an die hawaiianische Schneegöttin Poli’ahu und ihre drei Schwestern – ein autonomes Gebilde mit fratzenhaften Gesichtern entstanden. Neonröhren mit unterschiedlichen Farbtemperaturen, die wie Designobjekte wirken und das vorwiegend in Grundfarben gehalten Werk erstrahlen lassen, komplettieren die Installation. Bezüge zur Mythologie und Traditionen der Kunstgeschichte sind ein ebenso wichtiger Bestandteil in Brätschs künstlerischer Praxis wie die Berücksichtigung digitaler Technologien.

Die Dichte an Verweisen und künstlerischen Techniken charakterisiert gleichermaßen das Werk von Michaela Eichwald (geb. 1967 in Gummersbach, lebt und arbeitet in Berlin). So vielfältig die verwendeten Materialien und Bildträger in ihren Malereien, Collagen, Assemblagen und Skulpturen sind, so divers sind die thematischen Anspielungen, die von Betrachtungen zum Kunstmarkt bis hin zu alltäglichen Momentaufnahmen reichen. In der Arbeit „Memory-Klinik-Notluke-Persönlichkeitsschale“ (2012) versammeln sich Küchenutensilien, Chemikalien, ein Gummihandschuh und Stühle nebst Textfragmenten aus einem Gedichtband von Ulf Stolterfoht sowie Niklas Luhmanns Abhandlung Legitimation durch Verfahren. Die in die Collage integrierten Schwimmbadszenen weisen hingegen einen direkten Bezug zum Münchener Nordbad auf, das Eichwald während ihrer Akademiezeit regelmäßig frequentierte. Es offenbart sich ein dichtes Gefüge aus visuellen Assoziationen und Überlagerungen, die in eine abstrakte malerische Komposition eingebettet sind. Im kommenden Jahr präsentieren die Kunsthalle Basel sowie das Walker Art Center Einzelausstellungen von Eichwald.

Durchaus spielerisch und dadaistisch erscheint der künstlerische Ansatz von Helen Marten (geb. 1985 in Macclesfield, lebt und arbeitet in London). Im Zentrum ihrer Installation „A face the same colour as your desk (7)“ von 2012 steht ein cremeweißer, funktionaler Tisch mit Pultcharakter. Während sich unter dem Fuß des bizarr anmutenden Möbelstücks Papier- und Verpackungsabfälle offenbaren, thront auf der Tischfläche eine Toilettenrolle mit Zweig. Scheinbar beiläufig drapierte Stifte und Schnüre auf der unteren Ablagefläche sowie ein mit Obst, Laub und Papier gefülltes Plastiknetz, das neben dem Tisch steht, ergänzen das Ensemble. Marten, die 2016 mit dem Turner-Prize ausgezeichnet wurde, greift immer wieder Abfälle sowie banale Alltagsgegenstände in ihrer künstlerischen Arbeit auf, die mit den digitalen Bildern ihrer Videos in einen spannungsreichen Kontrast treten. In ihren Re-Arrangements und Umstrukturierungen bricht die Künstlerin mit tradierten Sehgewohnheiten und schafft neue Zuordnungen sowie Bedeutungsebenen. Eine besondere Rolle spielt dabei die Titelwahl. Auf Schach verweisen die in der Ausstellung präsentierten Werke von Sarah Ortmeyer (geb. 1980 in Frankfurt am Main, lebt und arbeitet in Wien). Das Spiel, das unzählige Konstellationen ermöglicht, versinnbildlicht in seiner Gestalt polare Kräfte wie Licht und Schatten, Gut und Böse oder Himmel und Hölle. Zwar muten die auf Metall oder Holz gemalten Schachbrettbilder, die zugleich Malerei als auch Skulptur scheinen, auf den ersten Blick monochrom an; tatsächlich verbergen sich hinter den Hell-Dunkel-Formatierungen Himmelsdarstellungen. Die formale Klarheit setzt sich in der Symmetrie der auf Metallstäben platzierten Straußeneier fort. Ortmeyer präsentiert diese Werkgruppe sowohl in ihrer natürlichen Farbe (wie bei PION) als auch marmoriert in Kollaboration mit Kerstin Brätsch (MONSTER). Aktuell zeigt die Künstlerin, die 2018 eine Soloshow im Kunstverein München hatte, eine Einzelausstellung in Chicago: INFERNO CHICAGO.

Laure Provoust (geb. 1978 in Lille, lebt und arbeitet in Antwerpen und London) legt in ihrem künstlerischen Schaffen einen besonderen Fokus auf Sprache und ihre Repräsentation. Unter Bezugnahme auf philosophische sowie psychoanalytische Konzepte experimentiert sie in Installationen, Filmen und Objekten mit Wörtern und Sound, um Fragen der Übersetzung und (Miss-)Kommunikation zu ergründen. Die Arbeit „Ideally the art work opposite would start talking to you“ (2019) gehört zu einer Serie, die jeweils ein mit „ideally“ beginnendes Statement in weißen Buchstaben auf schwarzem Grund abbildet. Diese wie Schilder funktionierenden Arbeiten offenbaren nicht nur eine Diskrepanz zwischen der Realität und einer Wunschvorstellung, sondern fordern die Betrachtenden auf, mittels eigener Imagination das jeweilige Werk zu vervollständigen. Wenn Prouvost, die für die diesjährige Biennale in Venedig den Französischen Pavillon bespielt hat, in dem ebenfalls in der Ausstellung gezeigten Wandteppich formuliert „You Could Hear This Image“ (2017), wird deutlich, dass Bild und Sprache einer konstanten Re-Evaluierung zu unterziehen sind.