Ergül Cengiz

Harita

28.10.2021 – 22.01.2022

Harita nennt Ergül Cengiz ihre neue Einzelausstellung in der Galerie Françoise Heitsch. Es ist das türkische Wort für Karte, Landkarte, Stadtplan und Titel einer Werkserie, in der die Künstlerin die Bedeutung dieses Begriffes auf persönlicher, geopolitischer und künstlerischer Ebene abschreitet. Die Namen „Oberammergau“, „Davenport“, „Bad Kohlgrub“ oder „Karlsfeld“ springen den Besucher:innen von quadratischen Landkarten entgegen, die über die Wand des Ausstellungsraumes verteilt sind. Die Karten entstammen dem Besitz ihres Schwiegervaters, sie dokumentieren Stationen seines Lebens und sind gleichzeitig zu Sehnsuchtsmotiven der Familie in Papierform geworden. Die physischen, topografischen Darstellungen hat Cengiz mit einem geometrischen Muster – einem Sechseck, angelehnt an die islamische Ornamentik – in unterschiedlichen Farben bedruckt; die gitterartige Struktur zieht andere Grenzen ein, bildet alternative Orte aus und definiert Flächenverteilungen neu. Die Karte wird durch die mathematische Perfektion des geometrischen Netzes mit einer neuen Ordnung belegt, dieser wird wiederum das vermeintliche Chaos und die Willkürlichkeit der Collage gegenübergestellt. Mit ihrer Bearbeitung des Ursprungsmaterials überlagert und verwebt die Künstlerin die unterschiedlichen Biografien ihrer eigenen wie die der angetrauten Familie, implizit natürlich aber auch all jene Leben der Personen aus den kleinen und großen Orten der Karte. Und sie reflektiert die konstruktivistische Natur von Grenzziehungen und Kartierung, Fragen von Perspektive, Peripherie und Zentrum. Wie ein Puzzle sind die einzelnen Linoldrucke aneinandergelegt, ihre Technik macht sie beliebig erweiterbar – ein subtiler Kommentar auf die Pluralität und Gleichwertigkeit von Perspektiven.
Unendliche Erweiterbarkeit der Einzelelemente, die untereinander keine Hierarchie kennen, zeichnet auch das kristalline Muster aus, das uns im Erdgeschoss in Form von farbigen transluzenten Glasarbeiten begegnet, die Ergül Cengiz zum Anlass der Ausstellung gestaltet hat. Geometrische Farbflächen – mal kräftig leuchtend, mal pastellig – überziehen die Glasträger, darüber legen sich verschiedenfarbige Stege, die sich überschneiden, untereinander durchtauchen oder an anderen Stellen gänzlich fehlen. Das von der Künstlerin entworfene Motiv basiert auf dem Prinzip der Girih-Kacheln, einer in der mittelalterlichen islamischen Architektur entstandenen Ornamentform, bei der durch das Zusammenfügen von mit Linien verzierter Kacheln unendliche Variationen komplexer quasikristalliner Muster erschaffen werden können. Die Glasarbeiten sind in Zusammenarbeit mit der Bayerischen Hofglasmalerei Gustav van Treeck entstanden, einer 1887 gegründeten Münchner Traditionswerkstatt, spezialisiert auf die Anfertigung und Restauration von Glas- und Mosaikarbeiten und eine der letzten ihrer Art in Deutschland. Die von der Decke hängenden durscheinenden Gebilde tauchen den Ausstellungsraum in ein atmosphärisches Licht und wecken Assoziationen an sakrale Räume, den Lichteinfall durch Kirchenfenster, aber auch an die begehbaren Rauminstallationen eines James Turell. Aus der Nähe ermöglicht jede einzelne Farbfläche ein anderes Raumerlebnis, gemeinsam betrachtet rahmen sie hingegen das Dahinterliegende in fast malerischer, abstrahierender Weise ein und verwischen spielerisch die Gegensätze von Hinter- und Vordergrund, Außen und Innen, Durchblicken und Verunklaren. Cordula Schütz

Ergül Cengiz
Malerei auf Glas, 2021
Detail

Francoise Heitsch

Amalienstr. 19
80333 München

Tel. +49 (0) 89 481 200
fheitsch@francoiseheitsch.de

francoiseheitsch.de

Öffnungszeiten

Mi + Fr 14.00 – 19.00 Uhr
Sa 12.00 – 16.00 Uhr
sowie per Anmeldung

nicht barrierefrei